Das Hundertwasserhaus

Hundertwasser auf einer Terrasse des Hundertwasser-Hauses. Foto: Alfred Schmid

Wir erleben wieder eine Wende, wo alte und starre Werte in der Architektur und im Städtebau immer mehr in Frage gestellt werden. Die Geradlinigkeiten und die Uniformität der Bauhausarchitektur gehen ihrem Ende entgegen, denn sie ist gefühllos, steril, kalt, herzlos, aggressiv und emotionslos. Die Ära des absoluten Rationalismus geht zu Ende. Die neuen Werte sind erhöhte Lebensqualität und nicht Lebensstandard, Sehnsucht nach Romantik, Individualität, Kreativität, insbesondere Kreativität, und ein Leben in Harmonie mit der Natur.

Der Mensch hat drei Häute, seine eigene, seine Kleidung und seine Behausung. Alle diese drei Häute müssen sich erneuern, ständig wachsen und wandeln. Wenn aber die dritte Haut, das heißt, die Außenwände seiner Wohnung, sich nicht auch wandelt und wächst, wie die erste Haut, dann erstarrt sie und stirbt.

Häuser sind wachsende Gebilde so wie die Bäume. Häuser wachsen wie Pflanzen, leben und wandeln sich ständig. Die heutige Architektur aber ist kriminell steril, denn fatalerweise hört jegliche Bautätigkeit dann auf, wenn die Menschen ihre Quartiere beziehen, wo doch normalerweise die Umgestaltung des Lebensraumes nach Einzug des Menschen überhaupt erst beginnen sollte.

Die Architektur ist zu einer Farce geworden, die dem Menschen nicht mehr entspricht. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Mensch seine zweite und dritte natürliche Haut, nämlich Kleidung und die Architektur derartig vergewaltigt, dass sie ihm nicht mehr passen.

Die Architekten bauen Gefängniszellen, in denen die Seele des Menschen zugrunde geht. Heute erleben wir den Triumph der rationellen Technik, stehen jedoch gleichzeitig vor dem Nichts.

Ästhetische Leere, uniforme Wüste, mörderische Sterilität und schöpferische Impotenz. Gerade aus Wien können wieder Impulse der Architektur in die Welt hinausgehen. Denn Österreich war schon immer ein Land der Architektur. Der Barock, der Jugendstil, Adolf Loos, als Vorstufe des Bauhauses, der soziale Wohnbau der Zwischenkriegszeit und nun das Hundertwasserhaus. Es wurde wieder ein Signal für die Welt gesetzt.

Ein Bewohner muß das Recht haben, sich aus seinem Fenster zu lehnen und außen an seiner Außenwand alles gestalten zu dürfen, wie es ihm entspricht, soweit sein Arm reicht, damit man von weitem sehen kann, dort wohnt ein Mensch.

Auf die Spiegelfliesen scheinen der Mond, die Sonne und die Laternen. Reiche und Mächtige hatten schon immer Türme und Kuppeln, daß aber der normale Durchschnittsmensch auch Türme, sogar vergoldete, haben kann, ist neu. Die Architektur soll den Menschen erhöhen, nicht erniedrigen, erdrücken und versklaven. Ein goldener Zwiebelturm im eigenen Haus erhebt den Bewohner in den Status eines Königs. Die graue Massenmisere ist zu Ende, das goldene Zeitalter bricht an.

Damit die Geister des alten Hauses in das neue übersiedeln können, wurde ein Fassadenstück des alten Hauses nachgebildet, mit Schlußsteinen und Backenbärten, mit Quadern und Rillen.

Die schnurgerade tote Skyline ist ein unrühmliches Erbe des Bauhauses. Wenn die Grenze zwischen Erde und Himmel ermordet ist durch das Lineal, so sind auch alle Brücken abgebrochen zwischen dem Menschen und Höherem. Zwischen dem unnatürlichen brettelgeraden Boden und der schnurgeraden Skyline wird der Mensch erdrückt.

Die Säule ist ein wesentliches Element abendländischer Architektur, bei einer Säule fühlt man sich wohl wie unter einem Baum. Eine Säule muß schön und vielfarbig sein und auch im Regen und Mondlicht aus eigener Kraft leuchten. Figuren, Löwen, Statuen, Adler, Kugeln. Wenn sie verwittern und Moos darauf wächst, sind sie so schön wie Statuen im alten Rom. Wenn man dem Menschen seine Wurzeln in die Vergangenheit zerstört, so verhindert man seine Zukunft.

Die Romantik wurde zum Kitsch erklärt, so wurde die Romantik dem Menschen gestohlen. Darf man nicht träumen? Das Recht auf Träume ist das letzte Menschenrecht. Nimmt man dem Menschen seine Träume und Sehnsüchte, so geht er zugrunde. Die Abwesenheit von Kitsch macht unser Leben unerträglich.

Das ist der Wandelgang, ein Gang ist nicht nur zum Durchgehen da, der Gang kann und soll im Gehen Menschlichkeit, Wärme und Schönheit, Vertrautheit vermitteln, und zwar für alle Sinne.

Der unebene Boden ist wie eine Symphonie, wie eine Melodie für die Füße, der Gang wird zum schönen Weg. Das Fliesenband in den Gängen und Stiegenhäusern begleitet den Menschen, der durch den Gang geht und der Stiegen steigt, wie ein Freund. Aber auch die Wände sind gewellt wie einer versteinerter Faltenrock, der bis an den Boden reicht. Wie durch ein Wunder entstanden, quasi als Nebenprodukt des Fliesenlegens, unzählige Mosaike an den Wänden und auf dem Boden. So spontan wie Blumen und Bäume plötzlich auftauchen oder wenn etwas Schönes sich selbst erschafft.

Architektur muß dem Menschen seine Seele wieder zurück geben. Das Hundertwasserhaus ist ein architektonisches Zeichen, das zur Umkehr und Abwendung von der traditionellen und seelenlosen Architektur aufruft, ein Haus, in dem sich die Kreativität der Natur und die Kreativität des Menschen begegnen. Die Stadt Wien hat mit diesem Haus ein Projekt mit einmaliger Modellhaftigkeit ermöglicht.

Es ist zu hoffen, daß dieses Haus als ganz wesentlicher Beitrag zum sozialen Wohnbau und zu Ehren Wiens von der ganzen Welt, insbesondere von Architekten und Urbanisten, ernst genommen wird, und zwar als wichtiges Beispiel für eine neue und kreative Architektur.

Hundertwasser, in: Hundertwasser-Haus, Vienna: Orac Verlag, 1988 (Auszug)

Kategorie(n): Zur Philosophie des Hauses

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