Die Entstehungsgeschichte des Hundertwasser-Hauses

In einem Brief vom 30. November 1977 an den Bürgermeister der Stadt Wien, Dr. Leopold Gratz, empfahl der damalige Bundeskanzler der Republik Österreich, Dr. Bruno Kreisky, man solle Hundertwasser die Möglichkeit geben, seine Anliegen im Bereich der Architektur am Bau eines Wohnhauses umzusetzen.

Brief des Bundeskanzlers Kreisky an Bürgermeister Gratz, 1977. Quelle: WStLA, MDP, A18:6284/77

Brief Kreisky an Gratz, Seite 2

Bürgermeister Dr. Leopold Gratz lud Hundertwasser mit seinem Schreiben vom 15. Dezember 1977 ein, ein Wohnhaus in Wien nach seinen Vorstellungen zu gestalten.

Brief von Bürgermeister Gratz an Hundertwasser, 1977

Da Hundertwasser kein Architekt war (vergleichbar anderen Künstler-Architekten wie beispielsweise August Endell, Peter Behrens, Ludwig Mies van der Rohe, El Lissitzky oder Le Corbusier), bat er die Stadt Wien, ihm einen Architekten beizustellen, der bereit wäre, das von ihm gewünschte Konzept, dem entsprechend auch die Wahl des Grundstücks zu erfolgen hatte, in adäquate Planzeichnungen umzusetzen. Architekt Josef Krawina wurde Hundertwasser von der Stadt Wien vermittelt. Er erklärte sich bereit, Hundertwassers Idee und Konzept für den Bau eines Wohnhauses fach- und sachgerecht in eine Planung umzusetzen und auch die vielen administrativen Aufgaben zu erledigen.

Krawina bestätigt die Umsetzung der Ideen Hundertwassers

Nach jahrelanger Suche konnte ein für Hunderwassers Architekturkonzept geeignetes und akzeptables Grundstück gefunden werden.

Hundertwasser wollte ein „Haus für Menschen und Bäume“, so wie er es Jahre zuvor bereits in seinem Essay „Verwaldung der Stadt“ beschrieben hatte: „Daß der Mensch 100 oder mehr Kubikmeter hat, ist durchaus möglich in terrassenartig gebauten Gemeindebauten, wo jeder Großgarten zum Dach des darunter liegenden Bewohners wird.“ (Publiziert in: Protokolle, Zeitschrift für Literatur und Kunst, Vol. 2, Wien 1971, S. 83-86). In seinem Modell des „Terrassenhauses“ für die Sendung „Wünsch Dir was“ hatte er dieses Haus bereits visualisiert.

Modell des Terrassenhauses, 1979

Um die architektonische Form für die geplante Wohnhausanlage der Stadt Wien am ausgewählten Grundstück zu verdeutlichen, schuf Hundertwasser ein Zündholzschachtelmodell.

Hundertwassers Zündholzschachtelmodell, 1979

R. Wurzer bestätigt die offene, abgetreppte Form des Hauses als eine Idee Hundertwassers.

In einer Postkarte an Architekt Krawina vom 3. Dezember 1979 wiederholte er außerdem das Konzept eines terrassierten Hauses in einer Handskizze.

Hundertwassers Postkarte an Architekt Krawina, in der er die abgetreppte Bauform vorstellt.

Architekt Krawina schied 1983 aus dem Projekt und Architekt Peter Pelikan, Angestellter der Magistratsabteilung 19 der Stadt Wien, übernahm die Planung. Von Architekt Pelikan stammt die Planung der Wohnungsgrundrisse aller 50 Wohneinheiten. Peter Pelikan wurde für Hundertwasser zum idealen Partner und verwirklichte mit ihm zahlreiche Architekturprojekte.

Nach Fertigstellung des Ziegelrohbaus für das Haus arbeitete Hundertwasser ein Jahr lang täglich auf der Baustelle. 1985 wurde das Haus fertig gestellt, 1986 übergeben.

Für Hundertwasser bedeutete die Umsetzung seines Konzepts an der Wohnhausanlage der Gemeinde Wien den Gipfelpunkt seines Einsatzes für eine natur- und menschengerechtere Architektur, zu deren Einsichten ihm die Architekten bei seinen Vorträgen applaudiert hatten, deren Umsetzung sie jedoch nicht für machbar gehalten hatten.

Hundertwasser konnte mit dem Bau des Hauses beweisen, dass die Umsetzung einer natur- und menschengerechteren Architektur machbar ist, in der anstelle des Rastersystems und der Geradlinigkeit organische Formen und unreglementierte Unregelmäßigkeiten treten, Vielfalt anstelle von Monotonie und Individualisierung anstelle von Vermassung, und zwar im Rahmen des vorgegebenen öffentlichen Budgets eines sozialen Wohnbaus, ausgeführt von einem beliebigen Bauunternehmen in einer durchschnittlichen Bauzeit, im Rahmen der geltenden Bauordnung ohne Sondergenehmigungen.

Kategorie(n): Zur Entstehung des Hauses

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